Vorhofflimmern
Wie ich durch das Taiji mein Leben zurückbekam
Mit 39 Jahren bekam ich die Diagnose Vorhofflimmern.
Das war ein Schock für mich, aber auch eine Erleichterung, weil ich dachte, dass jetzt, wo die Ärzte wissen, was ich habe, mir geholfen werden kann. Ich hatte Hoffnung, dass jetzt mein Leiden ein Ende hat und mir geholfen wird, sodass es mir endlich wieder besser geht.
Ich war zum Diagnosezeitpunkt 39 Jahre alt, verheiratet, meine Kinder waren 8 und 13, ich als stellvertretender Marktleiter bei Rewe. Ich trainierte regelmäßig das Wun Hop Kuen Do Kung-Fu und ging joggen.
Anfangs bemerkte ich gelegentlich eine Unruhe in mir. So, als wäre ich aufgeregt, wie z.B. vor einer Prüfung. Später dann verschlechterte sich mein Schlaf. Ich wachte nachts auf und hatte Herzrasen und immer diese fürchterliche Unruhe. Ich musste raus, oft mitten in der Nacht, ich ging spazieren. Meine Frau begleitete mich oft. Dann wieder Ruhe. Endlich Schlafen. Dann wieder hochgeschreckt. Diese unregelmäßigen und viel zu kurzen Nächte verschlechterten dann natürlich meinen allgemeinen Zustand.
Nach ein paar Monaten hatte ich diese Probleme dann regelmäßig. Ich schreckte nachts hoch und hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Es kamen Panikattacken dazu und die Angst, schlafen zu gehen. Natürlich hatte ich das auch tagsüber, aber meine gehetzte Art zu leben und meine Unachtsamkeit sorgten dafür, dass ich das so zuerst nicht wahrnahm.
Eines Nachts war es so schlimm, dass ich in die Notaufnahme fuhr. Dort angekommen wurde ich sofort untersucht. Nach einiger Zeit wurde mir gesagt, dass alles in Ordnung sei, und ich wurde wieder nach Hause geschickt. Mein Herz hatte sich wieder beruhigt, bevor die Ärzte hätten etwas feststellen können. Ich schob also alles auf den Stress, den man ja so hat.
Die Angst und die Panikattacken blieben sowie diese unbeschreibliche Unruhe in mir, so als ob ich gejagt wurde. Ich musste immer in Bewegung sein oder noch besser mich irgendwie oder irgendwo mit ablenken. Am besten von mir selbst. Ich kaufte mir eine Uhr, mit der ich meinen Puls kontrollieren konnte. Nachts, wenn ich hochschreckte und diese Panik und Unruhe verspürte, kontrollierte ich meinen Puls und war geschockt. 130 bis 160 Schlägen in einer Minute, zu einer Zeit, in der mein Ruhepuls eigentlich nicht höher als 70 sein sollte. Das kann doch nicht normal sein.
Ich bin dann über die Zeit noch drei weitere Male in die Notaufnahme gefahren. Wieder wurde nichts festgestellt. Erst beim vierten Besuch dort blieb diese Unruhe und der hohe, unregelmäßige Puls und die Ärzte diagnostizierten Vorhofflimmern. Ich bekam einen Betablocker sowie ein rhythmusstabilisierendes Medikament. Ich musste bleiben, bis sich mein Herz wieder im Sinusrhythmus befand.
Ich dachte, schön, nun wissen die Ärzte, was du hast. Jetzt wird alles gut. Aber geholfen werden konnte mir nicht. Nach einigen Hin und Her und der Aussage, dass ich für Herzrhythmusstörungen viel zu jung bin, riet man mir, eine Ablation durchführen zu lassen. Eine Einödung am Herzen. Ich hatte Angst, aber mir ging es so schlecht, dass ich mich entschied, sie durchführen zu lassen, ohne Erfolg. Ganz im Gegenteil. Direkt nach der Ablation stellte man fest, dass ich nicht nur Vorhofflimmern, sondern noch eine andere Art von Rhythmusstörung hatte. Vorhofflattern.
Vorhofflimmern bedeutet einfach gesagt einen Herzschlag, der unregelmäßiger und oft zu schnell ist.
Vorhofflattern hingegen ist ein sehr schneller, regelmäßiger oder aber auch unregelmäßiger Rhythmus, der meist sehr flach ist.
Beide Arten von Rhythmusstörung verursachen nicht selten Blutgerinnsel in den Herzhöhlen und verursachen häufig Schlaganfälle.
Das, was ich bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hatte, war nichts im Vergleich zu dem, was ich von da an erleben musste, und die Probleme fingen erst richtig an. Nicht nur, dass das Medikament zur Rhythmusstabilisierung bei mir keine Wirkung zeigte und man mir Amiodaron verschrieb, was wirklich ein sehr schlimmes Medikament ist, welches Nebenwirkungen hat wie Verkürzung der QT-Zeit am Herzen, Trübungen der Augenlinsen, Veränderung der Schilddrüse, Verschlechterung der Lungenkapazität, Anstieg der Leberwerte, Kopfschmerzen, Schlafstörungen usw. usw. Die Liste ist unendlich lang. Ich musste 14-tägig zum Arzt, der das Herz, die Lunge, Schilddrüse, Leber und Augen untersuchte.
Mein Herz wechselte nun anhaltend zwischen den beiden Rhythmusstörungen und dem normalen Sinusrhythmus. Das heißt, von einer Minute auf die andere schlug mein Herz ganz normal und ruhig. Dann sehr flach und mit Schlägen bis 200-mal die Minute. Dann 140 Schläge und unrhythmisch, dann wieder rasend schnell oder ganz normal, ein ständiges Hin und Her. Ich bekam keine Luft und wieder Panik.
Dann wieder Krankenhaus. Eine Kardioversion, um mein Herz sozusagen neu zu starten. Mit einem Erfolg von 2 Stunden. Ich war verzweifelt und hatte Angst. Mehrfach am Tag hatte ich Todesangst und das Gefühl, dass mein Herz aus meiner Brust springt oder stehen bleibt, oder dass sich ein Blutgerinnsel bildet und ich einen Schlaganfall bekomme. Natürlich bekamen es jetzt auch die Kinder mit und sie hatten Angst um mich.
Ich bekam blutverdünnende Medikamente. Alles, was vor dieser Zeit mein Alltag war, alles, wofür ich lebte, war nun nicht mehr möglich. Geschweige dann Kung-Fu. Alleine wegen der Blutverdünnung war an Kampfsport nicht zu denken.
Ich rief meinen Trainer Sifu Ingo Pontow an und sagte ihm, dass ich nicht mehr am Training teilnehmen kann, und erzählte ihm von meinem Erlebten. Er hörte mir zu, und nach einiger Zeit sagte er: „Wir haben eine Taijigruppe, ich glaube, das ist genau das Richtige für dich.“
Gleich am folgenden Dienstag war ich dort und ich war begeistert. Ich lernte meinen Trainer Kai Schlupkothen kennen, der dann mein Sifu im Taiji wurde. Das ist jetzt über zwei Jahre her.
Dass Taiji viel bewirken kann, wenn man es regelmäßig trainiert, hatte ich gelesen. Auch, dass es wissenschaftlich bewiesen ist. Aber so richtig dran glauben konnte ich anfangs nicht. Ich ging trotzdem regelmäßig hin und trainierte das Chen Taiji. Ich stand 30 Minuten in der stehenden Säule und übte die Seidenübungen. Übte vorwärts und rückwärts schreiten.
Schnell bemerkte ich, dass ich ruhiger wurde, und war immer mehr fasziniert von dieser Kampfkunst. Besonders nach jedem Training hatte ich eine Ruhe in mir, wie sehr lange nicht. Ich wollte so viel wie möglich über das Chen Taiji erfahren, trat der WCTAG bei und guckte mir alles, was ich im Internet finden konnte, darüber an. Ich kaufte mir Bücher wie „Chen klassisches Taijiquan im lebendigen Stil“, „Schiebende Hände“, „Chen Fake“ und DVDs „Das Taiji Prinzip“ und „Die 19er Form“. Später folgten noch einige Webinare.
Ich übe seitdem regelmäßig jeden Tag, so oft es zeitlich geht. Vorhofflimmern ist eine fehlgeleitete Energie am Vorhof und ich bin fest davon überzeugt, dass man mit der Arbeit an oder mit seinem Chi, der Energiearbeit in Taiji, das korrigieren kann.
All das, was die Medizin und all die Ärzte nicht schaffen konnten, schaffte das Taiji. Mein Herz ist ruhig und vor allem im Sinusrhythmus. Es schlägt noch gelegentlich etwas zu schnell, aber alles im Rahmen. Und ich trainiere weiter. Es brauchte natürlich einige Zeit, aber ich habe es geschafft. Dank des Taiji.
Für mich ist Taiji viel mehr als nur eine Entspannungsmethode oder eine Kampfkunst. Mir hat Taiji mein Leben zurückgegeben und dafür bin ich sehr dankbar.
Christian Röhl