Auszug aus dem "Taijiquan Tu Shuo"

Das Taijiquan Tu Shuo („Der illustrierte Kanon des Taijiquan“) ist das wohl umfassendste chinesische Werk über Taijiquan. Es wurde innerhalb von 12 Jahren Anfang des 20. Jahrhunderts von Chen Xin (16. Generation der Chen-Familie) verfasst und gilt als einer der wesentlichen Klassiker des Chenstils.

Es folgt ein Auszug aus dem Text (Übersetzung INBI / Jan Silberstorff):

Während der Praxis des Tajiiquan ist es normalerweise nicht notwendig, sich anfänglich in die kardinalen Richtungen auszurichten. Wie dem auch sei, da das Sternenbild des großen Wagens nach Norden gerichtet ist, sollte der Ausübende sich respektvoll in diese Richtung stellen, denn dies ist die Quelle der entsprechenden Energie im menschlichen Körper, bekannt als Zhong-Qi oder Zentrale Innere Energie. Deshalb sind alle Figuren (die in diesem Buch präsentiert werden) nach Norden ausgerichtet, mit dem Rücken nach Süden, den Osten zur Rechten und den Westen zur Linken.

Um den Weg des Himmels zu bestimmen, musst Du zu den Substanzen Yin und Yang Zuflucht nehmen. Um den Weg der Erde zu etablieren, musst Du das Konzept von Hart und Weich anwenden; um den Weg der Menschen zu finden, brauchst Du Wohlwollen und Rechtschaffenheit.

Fülle Deine Beine und Arme mit der Energie des Seiden-Wickelns; richte Deinen Kopf auf und schau gerade nach vorne. Wenn Du sitzt, sei wie die Angel einer Tür; wenn Du stehst, sei wie ein leerer Raum.

Konfuzius sagt, „Begegnest Du Respektlosigkeit, schau nicht hin; begegnest Du Respektlosigkeit, höre nicht hin; begegnest Du Respektlosigkeit, sprich nicht einmal darüber; begegnest Du Respektlosigkeit, bewege sie nicht.“ Während Du Taijiquan praktizierst, sei dabei ehrfurchts- und respektvoll, als ein natürlicher Teil des Prozesses. Den etablierten Formen und Regeln folgend, betrachte die Taiji Form, höre auf sie, sprich über sie und bewege Dich mit ihr von innen heraus. Wenn Du die Form nicht übst, beruhige Dein Gemüt und Dein Herz und befriede Deine Energie um Dich mit dem spirituellen Element zu vermischen. Während des Übens, beruhige Deinen Geist und Deine Energie, um Deinen oberen und unteren Körperpartien zu erlauben, sich frei und natürlich ohne Künstlichkeit zu bewegen. Versuche den Mechanismus des Taijiquan vernünftig in Übereinstimmung mit den inneren Normen und Riten einzuleiten. Die Riten des Taijiquan besagen, das man kein langsames und träges Qi durch den Körper fließen lassen sollte. Wenn diese träge Energie sich `verdickt´, wirst Du eine sehr große Anzahl von Bewegungen gebrauchen müssen, um der Heranbildung myriader Krankheiten vorzubeugen, indem Du diese Energie aus allen Bereichen des Körpers damit heraus treibst.

Die Riten basieren auf Respekt und Freude und gehen hervor aus Friede und Harmonie. Wenn Du respektvoll sein kannst und Frieden und Harmonie beibehalten kannst, wirst Du ein guter Ausübender des Taijiquan. Es wird gesagt, „Taijiquan ist der Weg der Kunst.“ Wie die Meister sagen, „wenn die etablierten Regeln sehr streng sind, wird auch ein Weiser mit hohem Können trotz seines Gongfu nicht in der Lage sein, ihnen zu folgen.“ Wenn es der Gegenstand der Kunst ist, was sollte getan werden, es zu verstehen? Es wird ebenso gesagt, dass du durch die Praxis des Taiji lernst, Deine Tugend zu kultivieren, Deinen Charakter zu korrigieren und dein Leben zu beschützen. Wie Menzius sagt, „ohne etablierte Praktik und Regeln kann man nicht entgegenkommend und zurückhaltend in seinem Verhalten werden.“

Den Weg des Taiji zu praktizieren, die klassischen Schriften nicht zurückzuweisen und jedem einzelnen Wort vom Anfang bis zum Ende Respekt entgegenzubringen – wer dieses tut, kann sich selbst als mit ganzem Herzen dem Studium des Taiji gewidmet bezeichnen. Seinen Willensentschluss zu fördern bis er befreit ist von dem Wollen, welches in seiner Brust gefangen ist, so wird er die (große) Einheit in Übereinstimmung mit dem einen Taiji Prinzip erreichen. Dieses Prinzip oder die (große) Einheit ist das Studium (der folgenden Seiten).