Großmeister Keith R. Kernspecht 28.06.1945 - 25.11.2024

Die Nachricht hat mich, wie wohl alle, die ihn gut kannten, völlig unerwartet und aus dem Nichts getroffen. Daher auch erst jetzt meine Zeilen nach einer Zeit der Besinnung. Vor allem der Bundestrainer der EWTO in Bulgarien, Meister Stanislav Bagalev, GM DaiSifu Oliver König, natürlich seine Tochter Natalie sowie sein Yiliquan Shifu Jimmy Heow, sein Sohn und ich selbst waren ja noch direkt zuvor mit ihm zusammen in Plovdiv gewesen. Er war wie immer voller Leben, voller Taten- und Forscherdrang. Jede Sekunde - wie immer - arbeitete er innerlich und äußerlich an seinen Konzepten und Prinzipien, um sie dann gleich am Nächsten auszuprobieren. Außer meinem eigenen Shifu, Großmeister Chen Xiaowang, habe ich nie jemanden kennengelernt, der bis zum Schluss diesen Anfängergeist des Lernens und Erforschens beibehalten hat. Beide um die 80 Jahre alt, verbrachten und verbringen sie wie am ersten Tag ihre Zeit von morgens bis abends damit, ihr Prinzip der Kampfkunst zu verfeinern. So deutete nichts auf dieses so schnelle Ableben hin, was dann ein paar Tage später völlig überraschend eintrat.

Wir trafen uns zuletzt auf GM Kernspechts letztem Seminar, danach bei seinem letzten offiziellen Essen und verbrachten noch privat Zeit bis spät in den Abend in seinem Hotel. Das Foto ist von diesem Tag. Nur eine Woche zuvor trafen wir uns bereits in Rheine, Deutschland, zu einer weiteren Hall of Fame Verleihung, wo er mich bat, für seinen malaysischen Shifu zu übersetzen.

Doch wo begegneten wir uns das erste Mal?

Immer um einander wissend, war es mein 'Buch Schiebende Hände', welches uns zusammenbrachte. Ich skizzierte darin im Jahre 2008 die innernen Prinzipien unseres Chenstil Taijiquan für das Pushhands. Taktile sensitive Prinzipien, statt äußerer Techniken. Das erregte seine Aufmerksamkeit und er war so nett, ein Vorwort für dieses Buch zu schreiben, wie auch ich eines für sein Buch 'Der Letzte wird der Erste sein' schrieb. Seitdem trafen wir uns bei ihm zu Hause in Kiel, in Hamburg oder wann und wo immer wir uns international in der Nähe fanden. Auch kam es u.a. vor, dass ich nachts um eins eine Nachricht von ihm erhielt und wir bis um sechs Uhr morgens über innere Konzepte der Kampfkunst chatteten.

Er hatte keinen Grund dazu und doch weihte er mich in viele interne Vorgänge seiner Verbandsarbeit bezüglich seiner heutigen Magic Hands ein, mit denen er die EWTO wie schon mit dem iWT um die inneren Prinzipien erweiterte.

Dass er für das Wing Tsun ein historisches Werk schuf, ist allen bewusst. Von meiner Perspektive als innerer Kampfkünstler jedoch, muss mir natürlich gerade dieser letzte Schritt als Vervollkommnung und als Abschluss seines Schaffens erscheinen. Er schuf etwas, was für die bisherige Welt des Wing Tsun so einmalig war: Er schloss den Kreis zwischen einer weichen zu einer inneren Kampfkunst.

Dafür gewann er nicht nur als Freund, sondern auch als Kollege meinen vollen Respekt. Erinnerte ich ihn noch aus der Zeit, in der wir uns persönlich nicht kannten, als jemanden, der sich auffällig kritisch gegenüber Taijiquan öffentlich äußerte. Um so beeindruckender war es dann, als er selbst begann, Prinzipien, wie wir sie aus dem Taijiquan kennen, nicht nur zu trainieren, sondern auch im Stande war, offiziell seine damalige Meinung zu widerrufen. Kaum jemand in seiner Position ist in der Lage, sich selbst kritisch zu betrachten. So kam mir vielleicht sogar wie keinem anderen westlichen Meister der inneren Kampfkünste die Freude zu teil, von ihm stets protegiert und unterstützt zu werden.

Aber es gab da noch etwas ganz Besonderes, was nicht viele können: Er selbst war etwas ganz Besonderes. Doch gleichzeitig gab er auch jedem anderen das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein!

Meister der Kampfkunst, die mit ihrem System bereits alles erreichten, was sie sich gewünscht haben, fangen sehr selten noch einmal 'von vorne an' und begeben sich ein zweites Mal auf die Suche. Sie stellen sich sehr selten noch einmal selbst in Frage und beleuchten ihr gesamtes System auf ein Neues. GM Keith R. Kernspecht hat dies beispielos getan und genau dadurch hat er Wing Tsun nicht nur wie kein Zweiter weltweit verbreitet. Er hat es meiner Meinung nach auch auf ein bisher nie dagewesenes Level angehoben. So war es auch nur ein konsequenter weiterer Schritt, dass er im nächsten Jahr sein Wissen zurück nach China gebracht hätte. Entsprechende Einladungen und festgesetzte Seminartermine waren bereits vereinbart. Auch wenn diese nun leider nicht mehr stattfinden können, so hat sich hierdurch der Kreis geschlossen und GM Keith R. Kernspecht hinterlässt ein vollständiges Lebenswerk, das ihn in die Reihe der unvergesslichen Ahnherren der chinesischen Kampfkünste einreiht.

Sein plötzlicher und völlig unerwartetere Tod, wenngleich im hohen Alter, welches man ihm sowohl körperlich als auch geistig in keinster Weise anmerkte - das Gegenteil war der Fall - erinnert uns an eine der wichtigsten Lektionen des Lebens: Das, was Du in diesem Leben tun willst, das tu jetzt - so wie er es Tag für Tag tat.

Ein großes Vorbild hallt in uns nach und sein Vermächtnis wird Generationen beeinflussen.

Vielen Dank GM Keith R. Kernspecht für unsere Freundschaft und diese unermessliche Inspiration!

In Gedanken an seine Frau Sigrun, seine Tochter Natalie und seine gesamte leibliche, aber natürlich auch die Martial Arts Familie,

Jan Silberstorff

Ps: Oft hielt er einfach nur meine Hand und lachte... 

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